Welche Vorbereitung und Betreuung brauchen Einsatzkräfte im Ausland?

Auf dem Podium von links nach rechts: Stephan Potting, Tom van Herwijnen, Dr. Gisela Kurth, Rainer Elsmann, Dr. Klaus Schmitz und die Moderatorin Conny Czymoch.

Welche Vorbereitung und Betreuung brauchen Einsatzkräfte im Ausland?

03.04.2017

Expertenrunde auf dem Dr. Walter-Sicherheitsforum

Ein Auslandseinsatz birgt immer ein gewisses Risiko. Die Chance, dass der Ernstfall nicht eintritt, steigt mit einer guten Auswahl, Vorbereitung und Betreuung der Freiwilligen und Fachkräfte. Wie lässt sich das Risiko, während eines Auslandsaufenthaltes zu erkranken, möglichst gering halten? Wie kann man Gesundheitsrisiken und vermeiden und Einsatzkräfte bestmöglich vorbereiten? Wie kann man sie während und nach ihrem Einsatz sinnvoll betreuen? Diesen Fragen widmete sich ein Experten-Panel auf dem 4. Dr. Walter-Sicherheitsforum.

Die gute Nachricht vorweg: Die meisten Auslandseinsätze verlaufen ohne schwerwiegende Zwischenfälle und die Teilnehmer kehren gesund in ihre Heimat zurück. Doch immer wieder kommt es auch zu lebensbedrohlichen Unfällen sowie physischen und psychischen Erkrankungen. Viele davon lassen sich jedoch vermeiden, wenn Einsatzkräfte vorher sorgfältig vorbereitet, entsprechend geschult und während ihres Einsatzes betreut werden. Ergänzt werden sollte eine solche Betreuung auch durch eine Nachsorge: Gespräche mit rückkehrenden Mitarbeitern, um aufgetretene belastende Ereignisse besser verarbeiten zu können.

Sicherheits-Manual von CBM
Ein Best-Practice-Beispiel brachte Tom van Herwijnen von der Christoffel Blindenmission mit, die aus verschiedenen Gründen Menschen mit Behinderungen auf Reisen in Krisengebiete entsendet. Er stellte ein Sicherheits-Manual für Menschen mit Handicaps auf Dienstreisen und Auslandseinsätzen vor. CBM wurde für diese Praxis in besonderer Weise für den Duty of Care Award 2016 besonders empfohlen. Das Manual stellt CBM auch für andere Organisationen und Unternehmen online zur Verfügung.

Besondere Herausforderung
Blinde, taube oder Menschen im Rollstuhl stehen auf Reisen vor besonderen Herausforderungen. Doch manchmal lässt es sich nicht vermeiden und oft ist es sogar richtig und sinnvoll, dass gerade Menschen mit Behinderungen ins Ausland reisen. Sei es weil sie bestimmte Kenntnisse und Erfahrungen haben oder sei es schlicht aus dem Gedanken der Gleichberechtigung und Teilhabe. Bei der Vorbereitung von Einsätzen kommt es nicht nur auf Sprach- und Landeskenntnisse sowie interkulturelle Kompetenzen an. Wichtig ist ein umfangreiches Training dieser Mitarbeiter für bestimmte Gefahrensituationen: Was tun bei Naturkatastrophen, Fahrzeug und Personenkontrollen, Unfällen, sexueller Belästigung oder Terror?

Mit Behinderung ins Krisengebiet
Behinderte Menschen finden sich in fremder Umgebung oft schlechter zurecht und können sich weniger frei bewegen. Deshalb sind sie auf die Hilfe anderer angewiesen. Bei der mindesten zweitägigen Vorbereitung werden für jeden geplanten Einsatz die wichtigsten Fragen geklärt: Wie ist die Stellung von Behinderten (Frauen)? In welchen Ländern werden sie leicht zu Opfern sexueller Gewalt? Wer ist vor Ort, um jemandem im Rollstuhl zu helfen? Was ist, wenn der Rollstuhl verschwunden oder kaputt ist? Welche Fluchtwege sind bei Gefahr möglich? Wie kann ich mit blinden oder tauben Menschen kommunizieren? Gibt es eine Hotline oder eine andere Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen um die Betreuung und Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten?

Expertenrunde: einheitliche Mindestanforderungen fehlen
Nicht nur Mitarbeiter mit Handicap, sondern alle Einsatzkräfte brauchen eine gute Vorbereitung auf ihre Mission im Ausland. Neben Entwicklungshelfern, Missionaren und Fachkräften wollen auch viele junge Menschen nach der Schule etwas Gutes in der Welt bewegen. Da liegt es nahe, ein Jahr Freiwilligenarbeit im Ausland zu leisten. Oft sind sie dort mit völlig neuen Lebenssituationen konfrontiert und müssen sich selbst organisieren. Es kommt deshalb darauf an, bei der Auswahl, Vorbereitung und Betreuung der Teilnehmer besonders sorgfältig vorzugehen. Hier heben sich staatliche geförderte oder kirchliche Organisationen deutlich von Reiseanbietern für Volunteering ab. Sie schauen bei der Auswahl der Freiwilligen genauer hin, verpflichten sie zu Vor- und Nachbereitungskursen und haben auch Koordinatoren als Ansprechpartner im Einsatzland. Doch bisher gibt es keine einheitlichen Mindestanforderungen, wie diese Prozesse organisiert werden. Wie wird sichergestellt, dass die Freiwilligen die gesundheitlichen und psychischen Voraussetzungen für ihren Einsatz mitbringen? Gesundheitsfragen und psychologische Screenings könnten helfen, dass Teilnehmer gesund ins Ausland gehen und auch gesund wieder kommen. Auf der anderen Seite setzen hier Themen wie Datenschutz und Finanzierbarkeit ihre Grenzen. Die Kostenfrage stellt sich auch, wenn es um die Betreuung und Gesundheitsversorgung der Freiwilligen vor Ort geht.

Auf Risiken hinweisen
Dr. Gisela Kurth koordiniert die Qualitätsstelle für Internationale Freiwilligendienste beim Arbeitskreis „Lernen und Helfen in Übersee“ (AKLHÜ). Es komme darauf an, die Freiwilligen zu sensibilisieren, auf Risiken hinzuweisen, ohne Angst zu erzeugen, so Kurth. Niemandem sei gedient, wenn sich die Freiwilligen vor Ort nicht mehr trauten, vor die Tür zu gehen. Bei der Auswahl, Vorbereitung und Begleitung der Freiwilligen, die ein Auslandsjahr in der Entwicklungszusammenarbeit machen, müsse man sehr sorgfältig vorgehen. Wünschenswert sind Auswahlteams mit Psychologen, die prüfen, ob die Freiwilligen fit und stabil genug sind, um einen Dienst abzuleisten.

Kosten-Nutzen-Bilanz
Bleibt die Frage nach der Finanzierung. Schon jetzt sind gerade in der medizinischen Versorgung die Kosten hoch: Helikopter-Eltern wollten für ihre Kinder im Freiwilligendienst im Ausland eine medizinische Versorgung auf deutschen Niveau. Deshalb werden sie bei Erkrankungen in Absprache mit der deutschen Botschaft fast nur noch in teure deutsche Krankenhäuser geschickt. Hier stellt Kurth die Frage, ob so etwas noch der Grundidee eines Freiwilligendienstes in einen Entwicklungsland entspricht.

Psychologisches Gespräch vor Ausreise
Der Kinder- und Jugend-Psychotherapeut Stephan Potting sieht in seiner Praxis, dass Jugendliche häufig den Wunsch haben, etwas in der Welt zu bewegen. Sie wollen ihre eigenen Vorstellungen umsetzen und überschätzen dabei sich selbst und vergessen ihre eigenen Grenzen. Ob jemand unvorhersehbaren Situationen gut bewältigen kann, hängt davon ab, wie gut er in dieser Situation auf Beziehungen zugreifen und sich Hilfe holen kann. Potting hält psychologische Gespräche vor einem Auslandsdienst für dringend notwendig. In einem 90-Minuten-Gespäch lasse sich gut einschätzen, ob ein Bewerber für einen solchen Einsatz geeignet ist. Dieser aus seiner Sicht relativ geringe Aufwand lohnt sich, wenn dafür Gesundheit und Sicherheit des Freiwilligen geschützt werden können. Auch eine Absage kann für einen ungeeigneten Bewerber durchaus eine persönliche Entwicklungschance sein.

Restrisiko bleibt
Dr. Klaus Schmitz, Chirurg und Tropenmediziner, der seit 1982 mit Hilfsorganisationen im Einsatz ist, hat in einer Studie mit 2.700 Fachkräften und Freiwilligen untersucht, mit welchen gesundheitlichen Herausforderungen sie während und nach ihren Einsätzen konfrontiert sind. Schmitz ist der Meinung, dass ein generelles psychologisches Screening vor Ausreise nicht immer ausschließen kann, dass es dennoch zu psychischen Problemen im Einsatzland kommt. Man müsse also auch bei Freiwilligen mit psychischen Erkrankungen rechnen. Die Frage muss nach Schmitz also lauten, wie Freiwillige auf Notfälle vorbereitet sind und wie man reagieren kann, wenn ein Freiwilliger Symptome psychischer Belastung zeigt. Dennoch ist Schmitz davon überzeugt, dass einheitliche Mindestanforderungen für eine Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung der Freiwilligen hilfreich sind, Risiken zu minimieren.

Versicherungsschutz muss bezahlbar bleiben
Abschließend gab Rainer Elsmann von Dr. Walter Auslandsversicherungen zu bedenken, dass es in Zukunft immer schwerer würde, eine bezahlbare Krankenversicherung für Freiwilligendienste anzubieten. Hohe Ansprüche, teure Leistungsfälle und international steigende Behandlungs- und Krankenhauskosten treiben Prämien in die Höhe. Die Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit sind höher als früher. Ansprüche an medizinische Versorgung sind gesetzlich geregelt. So ist eine Rückholung aus dem Ausland beispielsweise Pflicht, wenn keine adäquate Versorgung gewährleistet werden kann. Allein ein solcher Krankenrücktransport schlägt leicht mit 90.000 Euro zu Buche.

Auswahlprozess ist wichtig
Zwar wünsche sich jeder, dass die Freiwilligen gesund aus dem Ausland zurückkommen. Die Eignung der Personen für den Einsatz im Ausland wird aber aus der Sicht von Elsmann noch nicht genug berücksichtigt. Wenn man bei der Ausreise in Zukunft genauer fragt, ob die jungen Leute gut geeignet, psychisch stabil sowie gut vorbereitet und betreut sind, lässt sich die Anzahl der kritischen Fälle reduzieren. Nur so würden Entsendeorganisationen auch ihrer gesetzlichen Fürsorgepflicht gerecht. Zwar dürften Organisationen ihre Bewerber zu Psychologen und zu Gesundheitstests schicken – die Ergebnisse unterliegen aber der Schweigepflicht. Es liegt am Bewerber, ob er sie an die Organisation weitergibt. So setzt der Datenschutz schnell eine Grenze für einen guten Auswahlprozess.

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