Zu den Folgen der Pandemie für die Touristik- und Reiseversicherungsbranche

Zu den Folgen der Pandemie für die Touristik- und Reiseversicherungsbranche

11.03.2021

Interview mit Reinhard Bellinghausen

Planen die Menschen nach Corona-bedingter Abstinenz wieder Urlaub? Was beobachten Sie beim Buchungsverhalten von Reiseversicherungen?

Normalerweise sind Januar und Februar die stärksten Buchungsmonate für Urlaubsreisen. Davon kann jetzt keine Rede sein. Die Verunsicherung wegen des Lockdowns ist groß. Die Menschen wissen nicht, wann die Einschränkungen wieder aufgehoben werden. Sie haben zwar große Reisesehnsucht und obwohl es bei den verschiedenen Reiseanbietern gute Kündigungsmöglichkeiten und großzügige Stornoregelungen gibt, möchten sie kein Risiko eingehen. Man ist sehr verunsichert durch die Mutationen und die Verlängerung des Lockdowns. Wir merken noch nichts von einer Entspannung. Es werden wirklich nur vereinzelt Reisen gebucht.

Sieht es bei den längeren Auslandsaufenthalten besser als bei den touristischen Reisen aus?

Nein, die komplette Reisetätigkeit ist zum Erliegen gekommen. Bei den jüngeren Leuten kommt so eine Art Scham oder Rechtfertigungsdruck dazu, wenn sie etwas im Ausland tun möchten. Schließlich bekommen sie von der Politik den ganzen Tag zu hören, dass es doch am besten sei, zu Hause zu bleiben.

Eine Ausnahme sind da noch Bildungsthemen: Wer ein universitäres Studium aufnehmen möchte und sein Auslandssemester schon vor längerer Zeit geplant hat, weil es vielleicht auch regulär in den Studienplan gehört, macht das auch. Allerdings nur, soweit das überhaupt möglich ist, denn es gibt ja wenig Präsenzveranstaltungen an den Universitäten.

Können Sie Tendenzen beobachten, wie sich Reisearten und –ziele verändern?

Es gibt natürlich Menschen, die schauen, wohin man denn gerade reisen kann und wo es warm ist. So war Portugal im Herbst und zu Beginn des Winters ein beliebtes Reiseland. Das geht jetzt natürlich gar nicht mehr. Wer unbedingt weg will, sucht sich sein Ziel. Derzeit ist es Costa Rica. Je nachdem, wie die Länder sich dem Tourismus öffnen, wird das auch angenommen. Aber es sind im Moment einfach wenige Länder geöffnet. Die Sehnsucht ist da, aber dass die schon in die Planung umgesetzt wird, sehen wir nicht.

Hat das veränderte Reiseverhalten Auswirkungen auf Ihren Geschäftsbetrieb?

Der umfassende Absicherungsgedanke steht mehr im Fokus. Die Menschen machen sich mehr Gedanken über die Versicherung und schauen genauer hin: Wie sieht es aus bei einer Reisewarnung, ist eine Covid-19-Erkrankung gedeckt, eine Quarantäne mitversichert? Alle diese Themen führen dazu, dass unsere Hotlines permanent überlastet sind, weil so viele Fragen kommen und so viel Unsicherheit herrscht.

Ein Rückblick auf 2020: Was war für die Reiseversicherungsbranche am schwierigsten?

Da die Reisebuchungen mehr als halbiert waren, ist es klar, dass sich das auf die Reiseversicherungen ausgewirkt hat. So hatte auch DR-WALTER große Umsatzrückgänge, weil der ganze Markt zusammen gebrochen ist.

Am meisten wurden wir durch die Rückholaktion der Bundesregierung belastet. Sämtliche Jugendaktivitäten, Au-pairs, Work-and-Traveller, Freiwilligendienste etc. waren davon betroffen. Die Betreuung der jungen Menschen aus Versicherungssicht war eine große Herausforderung. Dass wir sie vor Ort nicht im Stich gelassen haben, sondern trotz des geänderten Rückreiseverhaltens Versicherungsschutz gewährt haben. Während manche Versicherer einfach den Schutz aufgrund der Pandemieklausel abgelehnt haben, haben wir von DR-WALTER unsere Kunden zu keiner Zeit im Stich gelassen. Wir haben geschaut, dass der Schutz passend und richtig war und unsere Hotlines eingerichtet waren, damit sie gesund nach Hause kamen. Hinterher haben wir ihre Verträge storniert und die Beiträge zurückerstattet. Wir haben Tausende von Stornierungen vorgenommen.

Es gab Reiseversicherer, die einfach keinen Schutz mehr gewährt haben?

Ja, international haben fast alle die Pandemie-Klausel gezogen. Als Covid-19 zur Pandemie erklärt wurde, hatten die Menschen im Ausland in diesem Fall keinen Schutz mehr.

Hat DR-WALTER auf Covid-19 also besonders kulant reagiert?

Kulant ist das falsche Wort. Wir haben über alle Maßen Versicherungsschutz sichergestellt. Wir haben uns gekümmert. Kulanz würde bedeuten, dass man etwas bekommt, worauf man keinen Anspruch hat. Wir haben unsere Kunden unterstützt, haben Notrufkapazitäten vorgehalten und zu jeder Zeit den Schutz sichergestellt. Und dass, obwohl wir Versicherer hatten, die die Verträge auflösen wollten. Dann galt es, mit ihnen zu verhandeln, um eine Lösung zu finden.

Vor welche neuen Probleme wurden Sie als Experte für Reiseversicherungen mit der Coronakrise gestellt?

Welche Arten von Quarantäne sind versichert? Was ist, wenn Menschen nicht einreisen dürfen? Eine weltweite Reisewarnung hat es noch nie gegeben. Das wirft Hunderte von Fragen auf. Reisen ist so kompliziert geworden, wie schon seit Jahren nicht mehr. Das Wichtigste, was die Kunden wollen, sind Informationen. Wir informieren umfassend über unsere Webseiten, aber eben auch ganz viel über individuelle Beratung.

Wir haben versucht, die Rückabwicklung zeitnah hinzubekommen, wurden aber aufgrund der vielen Rückreisen überrannt. Die Kunden zeigten glücklicherweise meist Verständnis, dass wir das nicht innerhalb von ein bis zwei Wochen erledigen konnten. Im Sommer haben wir alles abgearbeitet und befinden uns seit Herbst wieder in unserem Service-Level.

Konnten Sie als Anbieter von Reiseversicherungen auch auf Versicherer einwirken, ihre AVBs nachzubessern und Zusatzbausteine zu entwickeln?

Das ist ein langfristiger Prozess. Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die Versicherer schneller mit verschiedenen Zusatzbausteinen auf den Markt gekommen wären. Aber auch dort war die Verunsicherung ja groß. Es gibt jetzt neue Bausteine und wir stellen sie auf reiseversicherung.com dar. Man kann bei uns vergleichen und schauen, was der passende Schutz ist. Aber tatsächlich ist das Interesse am Reisen noch nicht wieder da, entsprechend verhalten ist also noch das Interesse an den Zusatzbausteinen.

Hat sich die Pandemie auch auf die Schadenentwicklung im Bereich der Reisekrankenversicherung ausgewirkt?

Dazu kann man kaum etwas sagen, weil letztendlich ja nur noch wenige Menschen im Ausland waren. Die nicht vorhandenen Reisen haben natürlich auch keine Schäden verursacht. Bei DR-WALTER sind wir gut durch Corona gekommen, weil wir glücklicherweise nur wenig Infizierte hatten, sowohl bei unseren Mitarbeitern als auch bei unseren Versicherten. Das ist aber eine reine Ausschnittbetrachtung. Es hätte sich genauso gut auch anders entwickeln können. Darum möchte ich hier nicht für die Branche sprechen.

Was halten Sie von einer Impfpflicht im Kontext von Reisen?

Etwas vorzuschreiben ist immer schwierig. Wahrscheinlich ergibt es sich von selbst, weil viele Länder ein negatives Testergebnis oder eine Impfbescheinigung bei der Einreise verlangen werden. Wenn ich heute in Afrika oder in Südamerika von einem ins andere Land reise, werden Gelbfieberimpfungen als Vorschrift für die Einreise verlangt. Darüber hat sich noch niemand beschwert, weil das selbstverständlich ist. Insofern ist es vielleicht ein wenig zu früh, darüber zu spekulieren. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass es später eine Selbstverständlichkeit ist, für manche Länder auch geimpft zu sein. Damit könnte das Reisen wieder möglich werden.

Gibt es auch positive Auswirkungen der Coronakrise?

Als jemand, der in der Reiseversicherungsbranche tätig ist, fällt es mir schwer, der Pandemie etwas Gutes abzugewinnen. Es ist eine Krise in unvorhersehbarem Ausmaß und da kann ich beim besten Willen keine positiven Aspekte entdecken.

Sind Sie trotzdem optimistisch für die Zukunft?

Ja, das schon. Gut, das erste Quartal von 2021 ist verschenkt, weil es im Lockdown ist. Im zweiten Quartal hoffen wir auf Lockerungen. Mit dem schönen Wetter im Frühling und Sommer kommt die Reiselust zurück. Dann werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten wieder reisen. Ich bin zuversichtlich, dass mit dem Impfen und den Impfversprechen schon im Sommer eine Normalisierung stattfindet.

Ich gehe auch davon aus, dass die jungen Leute, die im letzten Jahr zu Hause bleiben mussten, im Herbst wieder Angebote wahrnehmen können. Ich denke, dass die Freiwilligenarbeit wieder möglich wird und dass viele verschiedene Austauschthemen wieder starten können. Vielleicht noch nicht wieder so global wie vor der Krise, sondern eher im benachbarten als im weit entfernten Ausland.

Und wer das möchte, wird zu Weihnachten wieder nach Australien und Neuseeland reisen können.

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